Rundfunkbalance gewahrt – Presseaussichten trübe – Jugendsender verjährt
Ein Gespenst geht um im früheren MDR-Live-Land, das heute von diversen Blättern und Sendern in seltsamer politischer Vorahnung schon stetig „Mitteldeutschland“ geheißen wird, so als ob es rings um den Brocken und diesem zu Füßen läge: Das Gespenst nennt sich Rot-Rot-Grün (manchmal auch „R2G“), und herrscht schon in Sachsens Landeshauptstadt im Stadtrat und in Thüringen via Landtag auch über Wälder und Felder.
Dabei ist eigentlich nahezu überall große Koalition angesagt, was generell schlecht für Minderheiten aller Art ist. Unter diesem Dilemma und den damit verbundenen schwarzroten Schattenspielen lag auch der 17. Medientreffpunkt Mitteldeutschland, der von Montag bis Mittwoch unter dem fast esoterischen Titel „Neue Balance“ 40 Diskussionsrunden mit rund 200 Referenten anbot, wobei am Hauptknoten des Bahnstreiks mitten im Weselsky-Land erstaunlich wenige fernblieben. Die Dichte der Teilnehmer in der „Media City“ Leipzig entsprach ungefähr der des Vorjahres, wo rund 500 geschätzt wurden. Die Organisatoren der AG Medientreffpunkt, der als Verein auf den drei Medienanstalten aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen fußt, sprechen wie im Vorjahr von 1.100 Teilnehmern, die professionellen Zähler hatten derweil anderswo zu tun.
Am Montag bekam das Gespenst ein Gesicht: Bodo Ramelow, wie nahezu jeder über Gebühr strebsame Politiker aus Niedersachsen stammend und nun als erster linker Ministerpräsident nach 25 Jahren BRDDR ein Vorbote der neuen Zeit, hielt seine medienpolitische Rede und rührte hernach in einer Suppe, an deren Zubereitung er wahrlich keinerlei Anteil hatte: „Die Glaubwürdigkeit der Medien – Gesellschaft aus der Balance?“ umschrieb man den Tribut an die neuen Montagsdemonstranten.
Während in Jahren mit reiner schwarzen Vorherrschaft auf der ganzen Mitteldeutscherde sich gern alle drei mitteldeutschen Unionschefs hier trafen, kam der normalerweise früher aufstehende Reiner Haseloff erst am Mittwoch und Stanislaw Tillich gar nicht nicht nach Leipzig. So blieb Sachsen-Anhalt der Glaubwürdigkeitsdebatte ganz fern und Dresden schickte seinen untadeligen Chefvermittler Frank Richter – einst Gruppe der 20, derzeit oberster sächsischer Politbildner in die Bütt.
So geht sächsisch. Doch er war als wohl einziger Gast mit persönlichen Kontakt zum wütenden Fußvolk ein würdiger Ersatz.
Der neue Geist aus Leipzig
Zwei Altlasten waren aus dem Vorjahr abzuarbeiten, wo „Resonanz“ als ebenso weich ausbalanciertes Leitthema diente: Die Umsetzung des Verfassungsgerichtssurteil zur politischen Gremienbesetzung von öffentlich-rechtlichen Anstalten und der neue Jugendkanal in dem mit zehn (!) Leuten besetztes Podium unter dem Titel „Die Balance der neuen Vielfalt“. MDR-Intendantin Karola Wille sagte damals, dass der öffentlich-rechtliche Jugendkanal in einem Jahr auf Sendung und bei der 17. Ausgabe in Leipzig Thema sein werde. Nur letzteres traf zu.
Der Sender kommt, allerdings nur im Netz. Der danach plötzlich beschworene gemeinsame „Geist von Leipzig“ betraf eher andere Themen wie die Einführung neuer Regularien und der Ersetzung von ultrakurzen Radiowellen durch DAB+, bei dem alle (außer der Endverbraucher) sparen könnten.
Ebenso unbefriedigend eine Diskussion über die die neue staatliche Förderung privater, lokaler Fernsehsender, die eigentlich mit Qualitätskriterien verbunden sein sollte. Doch Moderator Ralf Siepmann übte sich in Bevorzugung ihm bekannter Teilnehmer und in Selbstreflektionen, die nicht immer zum Thema beitrugen. So konnte er Michael Sagurna (SLM) nur ein vages Kriterium der entlocken: 15 Minuten Informationsendung pro Tag und 30 pro Woche.
Sachsens DJV-Geschäftsführer Michael Hiller lenkte den Blick auf die Inhalte und forderte die Verstetigung guter journalistischer Arbeit.
Die Lokalsender müssen „authentisch wiedergeben, was in der Region passiert“, so Hiller. Eines der Probleme sah er darin, dass in lokalen Medien sehr viele Journalisten arbeiten, die ihr Handwerk gerade erst erlernen.
Für Printmenschen geht es in der Funkstadt Leipzig seit Jahren in einer Runde um die Zukunft der Zeitung, diesmal in einer Runde „Perspektive Zeitung . Der Druck der Zukunft“. Matthias Koch, Chefredakteur des so genannten „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND) der Madsack-Mediengruppe, ließ es sich nicht nehmen, einen peinlichen Werbefilm einzuspielen, in der der modernste Hannoveraner Newsroom der Welt vergöttert wurde. Koch erläuterte die Struktur seiner Zeitungen samt der durchlaufenden und der Wechselseiten ohne zu erwähnen, dass derzeit erst 18 der 35 Madsack-Zeitungen auf sein Angebot zurückkommen. Außerdem lobte er die Qualitäts- und Spareffekte der Gleichschaltung ohne zu betonen, dass sein beispielgebender Freier Korrespondent, der vorher an mehrere Zeitungen der Gruppe lieferte, nun garantiert nur noch einmal bezahlt wird.
Auch sein Verweis des Verzichtes auf DPA-Meldungen zugunsten eigener Korrespondenten in einigen Bereichen hinkt, weil zumindest bei der Leipziger Volkszeitung seit der Layoutreform auf explizite Kennzeichnung der Agenturmeldungen verzichtet wird. Warum auch immer – wohl dem, der seine lokale Autoren kennt und daher den Fremd-, also Sparanteil der eigenen Zeitung einschätzen kann.
Anders als im Vorjahr, als sich die Verlagsmanager ungestört gegenseitig die Bälle zu spielten und erklären konnten, dass Personalabbau und Qualitätszuwachs sich nahezu bedingen, versäumte es Annette Milz, Chefredakteurin des Medium Magazins, nicht, zweimal auf den Grund des Konzeptes „Madsack 2018″, welches in Leipzig ja besondere Blüten treibt, hinzuweisen: Spardruck.
„Kein Mensch braucht mehr eine Tageszeitung!“

Rettet „Madsack2018″ 35 regionale Tageszeitungen in Nord-, Ost- und Mitteldeutschland? Annette Milz vom Medium Magazin befragt Matthias Koch vom Madsack-Redaktionsnetzwerk.
Auf der sicheren Seite war Romanus Otte. Seine Welt-Gruppe hat nach der Strategieänderung des Axel-Springer-Verlags auf „Online first“ leicht reden:„Kein Mensch braucht heute noch eine Zeitung!“ Selbst wer keine Tageszeitung mehr lese, könne durchaus gut informiert am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Zeitungen würden zum Luxusgut wie„mechanische Uhren“, sagt Otte. Bei der Welt-Gruppe sei nicht mehr die Zeitung, sondern der Journalismus das Produkt, das Medium als Kanal egal.„Die Welt“ sei dann das„Best of“ des Tages. Aha.
So bleibt das Fazit zwiespältig und die Frage: Wo will der Medientreffpunkt künftig hin? Es hat keinen Sinn, die Rednerzahl beizubehalten, aber die der Panels zu verringern und thematisch zu verwässern. Auch das Programmheft, welches von 140 auf schlanke 60 Seiten schrumpfte und nix mehr über die Referenten kundtut (was bei Fasco = AG MTM oder = TLM bzw. Ramelow = Thüringen oder Wille = MDR natürlich reicht), weil ein jeder aufgrund des allgemeinen Spannungsgehalts und fettem kabellosen Netz in der ganzen Medienstadt für smarte Geräte sowieso Zeit fürs Netzgucken hat.
Dass angesichts von Veranstalter und Zielgruppe kein akademischer Fachkongress, der Fachjournalisten und Medienstudenten in Scharen anzieht, zustande kommen kann, ist klar. Auch ist die Terminlage traditionell ungünstig, weil die Verlagsheroen zeitgleich zum Europäischen Zeitungskongress in Wien (2015 mit rund 200 Chefredakteuren, Blattmachern oder Art-Direktoren) und die Netz- und Demokratiefreaks derweil bei der „Re:publica“ (450 Referenten, 6000 Gäste, 600 Journalisten) in Berlin weilen. Und in Leipzig zählt seit jeher das Techtelmechtel ringsherum plus– und wie man privater Radioparty und exklusiver MDR-Party und bei den Pausengesprächen sieht– die seltenen Treffen der Politiker aus Mitteldeutscherde. Aus der Presseresonanz ist daher gewöhnlich weder Relevanz noch Balance abzulesen.
Andreas Herrmann
Kernaussagen einiger Veranstaltungen:
www.medientreffpunkt-mitteldeutschland.de
Fotos: Andreas Herrmann, [hprfoto]
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